Lebensmittel in Niedersachsen fair verteilen statt verschwenden

OS-Rundschau  By PM vom 10. März 2023

Erstmals empirische Daten zur Situation der Tafeln

Forschungspro­jekt der Hoch­schule Osna­brück zeigt Her­ausforderungen und Lösungswe­ge auf, um Obst, Gemüse und Milchprodukte großflä­chig zu retten

Wie lassen sich in Nieder­sachsen weni­ger Lebensmittel ver­schwenden und welche Rolle kön­nen die Tafeln da­bei ein­nehmen? Mit die­sen und weite­ren Fragen beschäftigt sich das For­schungsprojekt „Le­bensmittel fairtei­len statt verschwen­den“ (LeMiFair) an der Hochschule Osna­brück. Im Auftrag des Niedersächsi­schen Minist­eriums für Ernähr­ung, Land­wirtschaft und Ver­braucherschutz (ML) läuft dieses Projekt seit Januar 2022. „Ich bin über­zeugt, dass wir in Nie­dersachsen mit die­sem Projekt end­lich aussage­­kräftige Zahlen zur Lebens­mittel­verschwen­­dung erhal­ten“, so Dr. Michael Ma­rahrens, Staatssekre­tär im ML. „Beson­ders freut mich die Ko­operation mit den Tafeln, da hier die Schnittstelle Wis­senschaft und Praxis im aktuellen Zeitge­schehen ineinander­greift.“ Das For­schungsprojekt „Le­MiFair“ be­leuchtet nieder­sachsenweit insge­samt drei Be­reiche: Die Situation der Ta­feln, Möglich­keiten zur großflä­chigen Weiterver­teilung von bislang weggeworfen­en Le­bensmitteln so­wie die Nutzung des Gelben Ban­des, das die Ernte von öffent­lichen und pri­vaten Obst­wiesen ermög­licht. Nun liegen erste Erkenntnisse vor. Diese wurden den Praxispartnerin­nen und -part­nern aus dem Handel, der Pro­duktion, den Ta­feln in Niedersach­sen, ver­schieden­en Lebens­mittel­ver­bän­den und Institu­tio­nen jetzt bei einer Bei­ratssitzung an der Hochschule Os­nabrück vorge­stellt.


Kapazitätsgrenze erreicht: Tafeln in Niedersachsen kämpfen mit ho­her Nach­frage nach Lebensmit­teln und weniger Spenden

Die Ergebnisse der Interviews von Ta­felvorständen und Gruppendiskussio­nen mit Ehrenamtli­chen sind eindeu­tig, meint Prof. Dr. Me­lanie Speck, Profes­sorin für Sozioöko­nomie in Haushalt und Be­trieb: „Durch die ak­tuellen Krisen, wie den Krieg in der Ukraine und gestie­gene Lebensmittel­preise, nut­zen im­mer mehr Kundin­nen und Kunden die Ta­feln. Die Nachfra­ge nach mehr Le­bensmitteln kann kaum be­wältigt wer­den. Ehren­amt­liche Tafel-Mit­arbeitende kommen an ihre Ka­pazitätsgrenzen.“ Zugleich gehe die Anzahl an Lebens­mittelspenden aus dem Ein­zelhandel zurück. Der An­satz des Pro­jektes ist des­halb nun zu schau­en, worüber weite­re Lebensmit­tel bezog­en wer­den kön­nen. Uwe Lam­pe, Vorsitz­ender der Niedersächsi­schen Ta­feln und Mit­glied im wissenschaftli­chen Beirat, unter­streicht die Wichtig­keit der empirischen Daten: „Von den Er­gebnissen profitie­ren nicht nur die nie­dersächsischen Ta­feln, sondern alle Tafeln bun­desweit. Wir erhoffen uns von der Veröffent­li­chung der Ergebnis­se mehr Wert­schät­­zung aus Poli­tik und Gesell­schaft für die ehrenamtlic­he Ar­beit in dieser heraus­fordernden Situati­on. Außerdem ist es für uns sehr hilf­reich zu schauen, wo­her wir weitere Lebens­mittel be­ziehen kön­nen und wie wir uns besser ver­netzen können.“

 

Obst, Gemüse und Milch­­pro­dukte be­reits im Pro­­duk­tions­­pro­zess retten und ver­teilen

Hier setzt das zweite Arbeits­paket an: Ursa­chen für Lebens­mittel­ve­rschwen­dung finden und Lösungsansät­ze auf­zeigen, wie diese Pro­dukte gerettet wer­den könn­ten. Dazu be­leuchtet das For­schungs­team den Pro­zess von der Produkti­on über den Handel bis hin zum Haus­halt. Prof. Dr. Sabine Born­kessel, Professorin für Le­bensmittelverarbeitung und Verpfle­gung, erläu­tert: „Wir fokus­sieren uns auf Obst, Gemüse sowie Milch und Milch­produkte und sehen beispiels­weise durch eine ers­te Daten­erhebung große Potenziale bei der Primärpro­duktion und der Logistik. Zum Teil ste­cken Lebensmit­tel in der Logistik fest und können so nachträglich nicht in den regulären Handel aufgenommen werden, sie werden bei der Produktion falsch etikettiert oder es fal­len Reste an, die es nicht in den Handel schaf­fen, aber für den Ver­zehr geeignet sind. Hier möchten wir Netz­werke bilden, um beispielsweise durch Verteil­zentren diese Produkte an Tafel-­Kundinnen und -kun­den wei­terzu­geben.“ Dafür wer­den nun Be­triebs­abläufe und recht­liche Hürden ana­lysiert und Lösungs­wege aufge­zeigt.

Eine weitere Möglich­keit speziell mehr Obst in Nieder­sachsen zu retten ist das vom Zen­trum für Ernähr­ung und Haus­wirtschaft Nieder­sachsen (ZEHN) initiierte Ern­teprojekt „Gelbes Band“. Hier kann Obst von ge­kenn­zeich­ne­ten Bäu­men auf Streu­obst­wiesen oder städ­tischen Grün­flächen ge­erntet und zuhause ver­arbeitet werden. „Im dritten Projekt-Bau­stein wollen wir her­ausfinden, wer dieses Angebot nutzt, wieviel ge­erntet wird und wie das Obst genutzt wird. Dient es als Alter­native zum wöchent­lichen Obst­einkauf oder nur als Ergänzung für ei­nen Apfelkuchen?“, so Prof. Dr. Dorothee Straka, Profes­sorin für Ernährungs­kommuni­kation. Die wichtigste Phase dieses Teil­pro­jekts, die di­rekte Befra­gun­gen von Nutzerin­nen und Nutzern, wird im Herbst 2023 starten.


Parti­zipative Beteili­gung des Bei­rats für praxis­taug­liche Lö­sungen

Bei der Beiratssitzung des Forsch­ungs­pro­jekts wurden nicht nur die ersten Erkennt­nisse geteilt und die nächs­ten Schritte inner­halb des Pro­jekts aufge­zeigt. Straka betont: „Uns ist der partizipati­ve Ansatz des Projekts sehr wichtig, um Lö­sungen auf­zuzei­gen, die in der Pra­xis wirk­lich umsetzbar sind. Die Mitg­lieder des Beirats können das For­sch­ungs­projekt weiter mitgestalten. Au­ßerdem zeigt sich bereits jetzt, wie wert­voll dieses Netz­werk für alle Beteil­igten ist.“ Das Forschungs­projekt läuft noch bis Ende 2023. Das Nieder­säch­sische Minis­terium für Ernäh­rung, Landwirt­schaft und Ver­braucher­schutz för­dert die Hoch­schule mit rund 665.000 Eu­ro.